Abenteuer Ost-West - ein nicht alltägliches Seminar

Text: Till Bley, Jan Brozio, Britta Buchwald, Tabea Hintemann, Pascal Kania, Josefa Neuhaus


Sechs Studierende erzählen hier von einem Seminar im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit, das es in sich hatte. Thema war: „Professionelles Selbstverständnis – im Ost-West-Vergleich“ (Modul 11). Es wurde gelesen und diskutiert, diskutiert und gelesen. Im Mittelpunkt des Seminars stand jedoch der Austausch unter Studierenden und Lehrenden der KatHO Münster und der Hochschule Mittweida (Sachsen). Die Studierenden nutzten ihren Gestaltungsfreiraum und bestimmten die Inhalte des Seminars und die Durchführung des Austauschs mit. Die Münsteraner Seminargruppe wollte z. B. erkunden, wie die Studierenden in Sachsen mit der politischen Situation vor Ort umgehen und inwiefern sie die Lehre und das professionelle Selbstverständnis beeinflusst. Nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Bundestagswahlergebnisse der AFD (Mittweida 33 %; Münster 4,9 %) – lag der Entschluss nahe, das Thema Rassismus bzw. Rassismuskritik in den Mittelpunkt zu rücken.

Im Mai besuchten die Münsteraner*innen Mittweida, eine kleine Hochschulstadt mit gerade 14.000 Einwohner*innen, und etliche weitere kleine Orte; eine gute Gelegenheit den ländlichen Teil `des Ostens´ kennenzu-lernen. Auf dem Programm standen u. a. zwei inspirierende Projekte: das „Dorf der Jugend“ in Grimma, in dem Jugendliche Haus und Gelände umbauen und gestalten dürfen sowie das Jugend- und Bürgerzentrum „Treibhaus e.V.“ in Döbeln, das Projekte betreut und initiiert, die sich gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus aussprechen. Auch in stürmischen Zeiten halten diese beiden Projekte den antidemokratischen Angriffen durch AFD, Pegida und andere rechtspopulistische Gruppen mit erstaunlicher Energie und Kompetenz stand. Doch müssen sie auch immer wieder neu um ihre finanzielle Unterstützung bangen – ihr Einsatz für demokratische Werte und ihre rassismuskritische Arbeit werden von den politisch Verantwortlichen zu wenig wertgeschätzt. Die Hauswand einer Einrichtung war mit dem Schriftzug „NS-Zone“ beschmiert – laut Mitarbeiter*innen war das Alltag. Bei den Projektbesuchen, den gemeinsamen Essen, den langen Über-Land-Autofahrten und nicht zuletzt in den verschiedenen privaten Unterkünften bei den Gastgebenden (wie das Erzgebirge und Chemnitz) diskutierten die Studierenden aus Ost und West über die Eigenarten ihrer Studiengänge, über professionelle Selbst-verständnisse und Praxen vor Ort und über persönliche Erfahrungen.

Als der Gegenbesuch im Juni in Münster anstand, war es, als würde man alte Bekannte wieder treffen. Dieses Mal blieb das Auto stehen, Münster wurde erradelt. Wir besuchten die GGUA (Münsteraner Flüchtlingshilfe) und die Villa ten Hompel mit Mobim (Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster – Gegen Rechtsextremis-mus und für Demokratie). Zu Mittag gab es Manakish im syrisch-deutschen Restaurant Elbén. Die Gruppen der Sachsener*innen und der Münsteraner*innen sind bei diesem zweiten Austausch zu einer Gruppe zusammengewachsen – Freundschaften wurden geschlossen: Wenn ich mal nach Mittweida, Chemnitz, Leipzig oder Zwickau reisen möchte, habe ich immer einen Schlafplatz sicher.

Was noch bleibt: Die Praxisbesuche haben gezeigt, wie wichtig das kritische Denken in der Sozialen Arbeit für die aktive Bearbeitung sozialer Probleme ist. Die Sozialarbeiter*innen in Sachsen kritisierten vehement die gegebenen Strukturen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und schufen einen eigenen Raum für die Ju-gendszene im ländlichen Raum, um durch Partizipation bzw. Begegnungsräume den starken Rechtsextremismus in der Region offensiv entgegen zu treten. In Sachsen wie in Münster machten die Projektmitarbeiter*innen anschaulich, wie das politische Mandat in der Praxis der Sozialen Arbeit ausgeübt werden kann und inspirierten damit die Studierenden, wie pädagogische Konzepte wirksam umgesetzt werden können: Wir haben gelernt, wie sich Soziale Arbeit politisch stark machen muss, um Interessen durchzusetzen und im Dialog zu bleiben.

Und noch eine Meinung: Mir hat der Austausch sehr viel gebracht. Für mich ist es ein gutes Lernkonzept, in dem ich deutlich mehr gelernt habe als in jedem anderen Seminar oder in Vorlesungen. Ich würde den Austausch jederzeit wiederholen.

Till Bley, Jan Brozio, Britta Buchwald, Tabea Hintemann, Pascal Kania, Josefa Neuhaus (Lehrende waren Brigitte Hasenjürgen aus Münster, Gudrun Ehlert und Martina Lück aus Leipzig)