Exkursion "Europa im Dreiländereck"

Seminar vom 19. – 22. Mai 2016

Das Seminar wurde im Rahmen des Projektseminars Bildungsarbeit als ein freiwilliges zusätzliches Angebot vorgestellt, um die bis dahin vermittelten Informationen und Kenntnisse zu ergänzen und um deutlich zu machen, was ein Seminar an Planung und Anstrengungen abverlangt, das als eine Fahrradreise konzipiert ist. Die vier Tage in drei Ländern mit drei verschiedenen Währungen und einer jeweils neuen Unterkunft an jedem Abend verlangten eine erhebliche logistische Vorbereitung und auch körperliche Anstrengung bei gut 40 km Fahrtstrecke an jedem Tag ab; dazu kamen die inhaltlichen Beiträge morgens und abends sowie die vielfältigen Informationen und Eindrücke bei den Fahrt unterwegs. Da das Wetter glücklicherweise dieser Reiseart sehr entgegenkam, waren die Eindrücke von Landschaft und Natur auch durchweg erfreulich.
Die Region an den Grenzen von Tschechien, Polen und Deutschland ist zwar landschaftlich und auch von den Orten her sehr angenehm, aber auch historisch stark belastet – vor allem in der jüngsten Zeit, d. h. von den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute. Insbesondere am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Region Schauplatz blutiger tragischer Ereignisse, ausgelöst durch den Krieg der Nazis und ihre Niederlage einerseits, den Vormarsch der Roten Armee andererseits. So ergaben sich auf kleinem Raum nach 1945 trotz des „gemeinsamen Nenners“ des „real existierenden Sozialismus“ zum Teil so stark unterschiedliche Entwicklungen in der DDR, der CSSR und der Volksrepublik Polen, dass die Grenzen zwischen diesen Ländern oftmals ähnlich „dicht“ waren wie die Grenzen gegenüber dem kapitalistischen Ausland. Die Gegenwart ist demgegenüber geradezu entlastend, weil die quasi unsichtbar gewordenen Grenzen ein ungehindertes Hin und Her von Menschen, Waren und Informationen zulassen. Erst in der jüngsten Zeit machen sich wieder nationalistische und rechtspopulistische Kräfte und Tendenzen bemerkbar, die das Bild teilweise doch erheblich verdüstern.
Die Reise verlief von Liberec über Jindrichovice in Tschechien nach Wolimierz und Nowogrodziec bei Lauban/Luban in Polen nach Görlitz und stellte unter anderem den Versuch dar, die Zerstörung Europas durch die Nazis, die Hilflosigkeit in der Spaltung durch den Kalten Krieg mit seinem „Eisernen Vorhang“ bis hin zu einem langsamen, aber erkennbaren Aufleben eines fühlbar europäischen Raumes sichtbar und verständlich zu machen. Dazu dienten die Kontakte mit der Bevölkerung und mit Projekten, die neuartig und teilweise recht alternativ waren (Kontakte mit offiziellen Stellen wurden nicht angebahnt, da sie oftmals schwer zu vermitteln und zeitraubend, aber dafür wenig ergiebig sind). Ebenso erstaunlich wie auch Zuversicht und Selbstvertrauen vermittelnd waren die Kontakte und die Äußerungen vor allem in den alternativen Projekten in Tschechien und in Polen, die teilweise schon über lange Jahre bestehen. Die Freundlichkeit und Offenheit in der Begegnung mit der deutschen Reisegruppe war sowohl in Polen wie auch in Tschechien durchweg ebenso beeindruckend wie erfreulich.
Abgesehen davon, dass die Teilnehmer/inn/en alle durchaus Lust darauf gehabt hätten, die Reise noch einige Zeit weiter fortzusetzen, war es gerade für die vier Studierenden aus der Fakultät Soziale Arbeit aufschlussreich und anstrengend zugleich, diese Spielart eines Projekts „Geschichte erfahren“ sowohl als Bildungsveranstaltung zu erleben wie auch wenigstens ansatzweise wahrzunehmen, wie sich die Umsetzung eines Konzepts in einer heterogenen Gruppe darstellt: Die Altersspanne reichte von Mitte 20 bis Mitte 70 Jahre, es waren ziemlich gleichmäßig Männer und Frauen beteiligt, dazu eine Vielfalt von Berufen und Menschen, die sowohl „aus dem Osten“ wie auch „aus dem Westen“ kamen. Die Verständigung untereinander erwies sich als fast durchweg mühelos – Schwierigkeiten im Verständnis mancher Aspekte waren eher intergenerationeller als grundsätzlicher Art. Dem dreiköpfigen Leitungsteam gelang die Bewältigung bzw. der Ausgleich durchweg sehr zufriedenstellend. Es wurde aber auch deutlich, dass eine solche Veranstaltung ein großes Maß mehr Arbeit verlangt als eine übliche Seminarveranstaltung am „grünen Tisch“ in nur einer Bildungsstätte – und dass sie zusätzliche Qualifikationen verlangt wie z. B. Sprachkenntnisse, sehr gute Ortskenntnisse und den Aufbau von einer Unzahl von Kontakten über Landesgrenzen hinweg.
Ein solches Reiseseminar wird im Rahmen des Projektseminars Bildungsarbeit/Rechtspopulismus auch im nächsten Jahr zu etwa der gleichen Zeit wieder angeboten; es ist sinnvoll, sich möglichst bald einen Platz zu sichern, da diese Art Seminar stark nachgefragt ist. Es können auch Interessent/inn/en teilnehmen, die nicht am Projektseminar teilnehmen – soweit die Plätze ausreichen.
Autor: Prof. Dr. Matthias Pfüller