Praktikum in Maine, Zweiter Teil

Neues aus Maine, USA

Die Zeit vergeht wie im Flug und die Eindrücke sind überwältigend. Nachdem nun schon der zweite Monat um ist, wird es Zeit für einen weiteren kleinen Rückblick.
Der zweite Monat begann damit, dass ich in der Uni die Russischprüfung der Erstsemestler mit abnehmen durfte. Ich war für den mündlichen Teil zuständig und sollte ein paar bestimmte Fragen stellen und anschließend beurteilen, wie sich der Delinquent geschlagen hat. War eine neue Erfahrung, eine der vielen neuen Erfahrungen… 

Abschlussfeier an der University of Maine

Eine schöne Erfahrung war beispielsweise die Abschlussfeier der hiesigen Studenten. Man kennt das meist aus Filmen, aber das mal live zu sehen, war schon erhebend und sehr feierlich, wenn sie alle mit ihren Roben in den Saal einziehen. Die Farben der Roben unterscheiden sich teilweise je nach Uni, die der langen Umhängekragen je nach Fachrichtung (pink steht zum Beispiel für die Künstler und hellblau für die Psychologen etc…) Sehr würdevoll sah das aus, wobei die Freude keineswegs zu kurz kam. Manche Hüte wurden individuell und mit viel Humor oder Dankbarkeit gestaltet. Es war alles andere als „steif“, es wurde viel gelacht und gewunken, und als am Ende die Studenten namentlich und mit ihrem erreichten Abschluss (magna cum laude, summa cum laude oder cum laude, die anderen Bachelor- und Masterabschlüsse wurden nicht erwähnt…) aufgerufen wurden, um ihre Zeugnisse auf der Bühne entgegenzunehmen, gab es bei manchen eine fanclubartige Jubelorgie des Familien- und Freundeskreises aus dem Auditorium. Am Ende spielte der Ukuleleclub ein traditionelles Abschiedslied und alle zogen glücklich und erleichtert wieder hinaus. Lustig war zu sehen, was manche als „Fußbekleidung“ dazu trugen…

Feiern mit dem Ukuleleclub

Und weil wir gerade beim Feiern sind: Mit dem Ukuleleclub hatten wir ein paar sehr unterhaltsame Auftritte (Belfast, Margaretta Day Auftritt) – ganz gleich, ob für einen guten Zweck in einer Kirchgemeinde oder zur Unterhaltung in einer urigen Kneipe… Wir haben mehrfach die Bühne gerockt, und die (semi-)professionelle Ausstattung mit Schlagzeug, Bassgitarre, Mikros, Mischpult, verschiedensten Ukuleles, gut aufeinander eingespielten Musikanten und Sängern und einem unschlagbaren Musikprofessor, der scheinbar auf allem Musik machen kann, was er in die Hände bekommt, waren eine sehr bewährte Kombination – Spaß inklusive!
Bei verschiedenen Veranstaltungen war zu erkennen, dass es hier eine ganz andere Spendenkultur als bei uns gibt. Es gibt unzählige Ideen, was sich die Menschen einfallen lassen, um Geld für ein bestimmtes Anliegen zu sammeln. Sie bieten irgendetwas an – Vorführungen verschiedenster Art, eine Versteigerung, Lose, Wettkämpfe – mal sehr sportlich, mal eher lustig – und jeder ist frei, so viel zu geben, wie er möchte. Und auch wenn die Menschen hier in der Region sicher nicht zu den reichsten Menschen zählen, ist doch jeder dabei so gut er kann. Der Zusammenhalt untereinander ist bemerkenswert. In dieser sehr ländlichen Umgebung, bei dem manche weit und breit keinen Nachbarn sehen, ist man schließlich auch sehr aufeinander angewiesen.

Blaubeerfelder und Landeskunde

So sind wir gleich mal bei etwas Landeskunde… Die meisten Menschen leben hier von der Wald- und Forstwirtschaft, den Blaubeeren und der Fischerei, vor allem natürlich der Hummerfischerei. Interessant war zu sehen, dass die Heidelbeerfelder jedes zweite Jahr kontrolliert abgebrannt werden, um somit den Ertrag im Folgejahr auf relativ natürliche und hier sehr traditionelle Art und Weise zu steigern.

Viele Männer sind „lobster fishermen“, und schon die Kinder fahren mit hinaus aufs Meer und lernen, wo sie wie die Hummerfallen ausbringen und wieder einholen müssen. Schon im Kindergarten liegt auf dem Spielplatz eine originale Lobsterfalle und ein Boot, und die Kinder spielen diesen Alltag nach. Manche haben nur diesen einen Berufswunsch – Hummerfischer, und kehren gleich nach ihrem Highschool-Abschluss, also dem „Abitur“, dass hier quasi alle machen, jeglicher weiteren Ausbildung den Rücken. Es ist aber ein sehr harter Job, bei Wind und Wetter hinausfahren zu müssen. Einige kehren später an ein College oder die Uni zurück, um danach andere berufliche Möglichkeiten zu haben.

Da es hier so sehr viele und fangfrische Hummer gibt, werden sie in den Gaststätten natürlich auch ganz frisch und sehr preiswert angeboten. Wir haben uns einmal das Vergnügen gegönnt… Wann ist schon mal ein Hummerteller so preiswert wie eine große Pizza?! Den Unterhaltungswert gab es quasi mitserviert… Gut, dass wir mit Freunden am Tisch saßen, die uns in die Kunst des Hummeressens eingeweiht haben. Sonst würden wir wohl noch heute staunend und fragend vor dem Tier sitzen…

Freizeit, Ausflüge, Interessantes

Einer unserer Ausflüge führte uns in Richtung Portland, also gen Süden. Wir übernachteten in einem typischen Cottage eines Motels.
Ganz in der Nähe davon gibt es den Ort Salem mit einem Hexenmuseum und einer entsprechenden Stadtführung. Wir waren etwas überrascht, hier auf Spuren der Hexenverfolgung zu treffen… Spannend…

Unsere Freizeit verbringen wir gern mit Ausflügen in die nähere Umgebung (Roque Bluffs, Lubec), beim Grillen, einem Potluck Dinner (jeder bringt etwas mit), beim Lagerfeuer, beim Sonnenuntergang am Wasser, beim Aquazumba, Pizzaessen, Kochen (hier gibt es einen anderen, aber wirklich vorzüglichen, fast weißen Mais… und leckere Steakrezepte, mmh… Auch für Veganer und Vegetarier ist gesorgt), bei Konzerten, Tanzvorführungen, bei netten Menschen zu Hause, am Lagerfeuer und sonstigen Partys und Feierlichkeiten (Mutter- und Vatertag, die wie in Deutschland gefeiert werden, Margaretta Day, an dem daran erinnert wird, dass die Briten sich das hiesige Land einverleiben wollten, man sich aber dann doch erfolgreich gewehrt hatte, Flag Day, an dem es um die amerikanische Fahne geht etc…). Es ist schon etwas Besonderes, wenn man an diesen „heroischen Tagen“ mit dem Ukuleleclub auftritt und fast wie selbstverständlich diese entsprechenden Lieder oder sogar die Nationalhymne mit singt und –spielt. 

In den letzten 2 Schulwochen gab es verschiedene Projekte in der Schule meiner Tochter. So wurden die Eltern bei kleinen Präsentationen der Schüler über die Inhalte und Projekte des vergangenen Schuljahres informiert, es fand ein Theaterprojekt mit anschließender Aufführung statt, und die Eltern hatten verschiedene Möglichkeiten, bei Veranstaltungen die Schule finanziell zu unterstützen. Dieses Geld kommt direkt den Schülern zugute. So verabschiedete sich die Schule von den Schülern mit einer Fun Night. Das bedeutete jede Menge Spaß und Unterhaltung für die Schüler mit anschließender Übernachtung in der Schule. Nun haben die Kinder hier schon Ferien…

Ein paar kleine Highlights in Kurzfassung:

Man ist in Maine, wenn:

  • … ein Hase bis zur Straßenmitte läuft, dort einen meterhohen Luftsprung macht, sich in alle Richtungen gleichzeitig dreht und am Ende in die Richtung davonläuft, aus der er gekommen war.
  • … bei Ebbe die Pickup Trucks auf dem Meeresgrund stehen und 1-2 Männer in der Nähe mit Eimern bewaffnet im Meeresboden nach „clams“, einer leckeren, essbaren Muschelart, suchen, die hier vielerorts ganz frisch in den Gaststätten angeboten wird.
  • … der Hummerteller im Restaurant so preiswert ist, wie eine große Pizza.
  • … man 3 Meilen bis zu seinem Postfach fährt.
  • … die Wiesen rechts und links der Straßen immer feucht und von Kanälen und großen Pfützen durchschnitten sind, die mal voller Wasser und ein paar Stunden später wieder ganz leer sind, um Stunden später wieder voll zu sein – je nach Ebbe und Flut.
  • … der Weißkopfseeadler, ein Symbol für die USA, majestätisch seine Kreise am Himmel zieht, und der Fischadler direkt auf dem Straßenlampenmast seine Jungen ausbrütet.
  • … wenn man auf vielen Höfen entlang der Straßen Berge von Hummerfallen stehen sieht.
  • … man viele Heidelbeerfelder sieht – große und kleine, wilde und privat bewirtschaftete und man überall Blaubeerprodukte kaufen kann – aus den kleinen, süßen, wilden Blaubeeren, mmh…
  • … man Menschen trifft, die gewohnt sind mit direkter Demokratie umzugehen. Das Wahlsystem hier ist ein anderes. Und wenn sich Menschen aus zwei verschiedenen Stadtteilen in der gemeinsamen Stadtregierung nicht mehr ausreichend vertreten fühlen, kann es sein, dass die Teile getrennt werden. So entstehen zwei kleinere Städte, und jeder Teil entscheidet für sich, was am besten für ihn ist. 

Man ist in Downeast, wenn:

  • … man ganz besondere Menschen gefunden hat, die sehr hilfsbereit sind, füreinander einstehen und zusammenhalten, ganz gleich, wie weit der nächste Nachbar entfernt ist, schon allein weil sie letztlich aufeinander angewiesen sind.
  • … man die nachts rot leuchtenden Funktürme der U-Boot-Navigationszentrale sieht, von der aus alle U-Boote auf der nördlichen Erdhalbkugel navigiert werden. (Die Station für die Südhalbkugel ist in Australien.)
  • … man viele kleine Holzhäuschen sieht, manche sehr hübsch, manche ärmlich, die meisten mit einer wunderbaren Aussicht auf den Ozean. An der zerklüfteten Küste gibt es ganz viele Plätze, wo man sein Häuschen hinsetzen und auf den Ozean hinausblicken kann.
  • … man viele holzbeladene große Trucks sieht.
  • … man viele kleine Kirchen sieht. Jede Gemeinschaft, und derer gibt es viele, hat natürlich ihre eigene Kirche.
  • …man Kolibris sieht.

Man ist in Machias, wenn:

  • … man eine hübsche kleine Uni findet, mit einem überschaubaren Campus auf dem Berg, mit wenigen hundert Studenten, einem Teich mit Sitzplätzen drum herum. Ein wunderbarer Platz zum Lernen, Studieren, Feiern und einfach leben.
  • … die Männer mit ihren karierten Hemden, Basecaps und Vollbärten abends in den Kneipen sitzen, sich vom Tag erzählen und bei alter Countrymusik das Leben genießen.
  • … jeden Morgen die Menschen aus der Umgebung entlang der Hauptstraße ihre Trucks und Stände aufbauen, um ihre Produkte aus dem Garten oder der heimischen Werkstatt oder der Garage/dem Dachboden anzubieten.
  • … besonders im Sommerhalbjahr fast jede Woche ein Fest gefeiert wird. Es findet sich immer ein Grund zum Feiern!
  • … am nächsten Morgen plötzlich alle Vogelhäuschen mit Körnerfutter verschwunden sind, weil ein Bär auf der Suche nach Futter sie heruntergerissen hat.

Man ist in Cutler, wenn:

  • … man auf eine kleine Schule mit 56 Schülern der Altersklassen 4 bis 14 trifft.
  • … man an der „Zwillingsschwester“ der Kirche aus der Serie „Unsere kleine Farm“ vorbeikommt, die dort einen Hauptschauplatz darstellt.
  • … Ebbe und Flut den Tagesablauf vieler Menschen prägen.

Soviel für heute. Wenn der Bericht über den dritten Monat erscheint, ist unser Aufenthalt hier schon Geschichte, doch daran wollen wir noch gar nicht denken. Wir genießen unsere Zeit hier in vollen Zügen und sind sehr froh und dankbar, dass wir diese wunderbare Erfahrung machen können.