Duderstadt

Mäzenatentum, Klosterleben und die Zukunft des Community Organizing

Ein (etwas anderer Report) zum gemeinsamen Seminar der HAWK Holzminden und der HS Mittweida zum Thema: Soziale Arbeit in ländlichen Regionen

Vom 14.- 16. März 2013 trafen sich 19 Studierende der Sozialen Arbeit zum gemeinsamen Seminar im niedersächsischen Duderstadt. Eingeladen und organisiert wurde das Treffen von Prof. Dr. Alexandra Engel (HAWK Holzminden) und Prof. Dr. Stephan Beetz (HS Mittweida).

Hinter dem Arbeitstitel „Soziale Arbeit in ländlichen Regionen“ verbarg sich eine ganze Bandbreite spannenden Diskussionsstoffes. Aktuelle Entwicklungen in ländlichen Regionen sollten ebenso besprochen werden, wie die damit im Zusammenhang stehenden veränderten Möglichkeiten für die Soziale Arbeit. Die so wichtige, wie wenig gestellte Frage von Macht und Verantwortung sollte ebenso diskutiert werden. Es ging darum wer sich ländliche Räume aneignen kann, wer seinen Einfluss auf bestimmte Entwicklungen in kleinen Städten und Dörfern geltend machen kann, wer teilhaben kann und wer nicht, wie Willensbildungsprozesse in ländlichen Gemeinden verlaufen und welche Rolle Soziale Arbeit in diesen Prozessen einnimmt.
Da ich mich derzeit in einem Forschungsprojekt mit ganz ähnlichen Themen beschäftige, bin ich kurz entschlossen und voller Erwartungen zum Seminar mitgekommen. Im Nachhinein kann ich sagen, es hat sich gelohnt, denn es gab viel Raum & Zeit zum Erfahrungsaustausch und zur gemeinsamen Diskussion. Trotz einer intensiven Arbeitsatmosphäre bestand zudem die Möglichkeit, den Sozialraum Duderstadt zu erkunden. Die von uns vor Ort gemachten Erfahrungen konnten so mit den Theorien über soziale Räume verbunden werden. Eine in heutiger Zeit leider fast vergessene, von Prof. Dr. Beetz vorgeschlagene, den Studierende angewandte und aus meiner Sicht sehr empfehlenswerte Methode der Stadterkundung, ist das Spazierengehen.

Ideen und Intentionen oder weshalb SozialarbeiterInnen keine Angst vor der Macht haben sollten.

Bevor ich über den Ablauf des Seminars berichte, folgt hier erst einmal ein kurzer Einblick in Thema und Intention des Seminars:
Unter Schlagwörtern wie „Globalisierung“, „Demografischer Wandel“, „Migration“ oder „Peripherisierung“ werden vielschichtige und ineinander greifende gesellschaftliche Veränderungsprozesse nun schon seit einigen Jahren öffentlich debattiert. Nicht nur (ländliche) Kommunen im Osten Deutschlands - die viel beschriebenen „strukturschwachen Regionen“ - leiden unter finanziellen Notlagen, verkaufen vormals öffentliches Eigentum, müssen mit einer „Überalterung“ der Bevölkerung einerseits und der Abwanderung der jungen Menschen andererseits klar kommen. Im Zusammenhang mit dem Verlust finanzieller Mittel der Städte und Gemeinden, steht vielerorts wiederum der Verlust von Gestaltungsspielräumen z.B. hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung.
In diesem Zusammenhang wird meist nur am Rande diskutiert, wohin vorhandene Gelder eigentlich fließen, wie über die Verwendung von Ressourcen entschieden wird und wer in welchen Regionen von Entwicklungen profitiert. Ganz konkret sind auch die Soziale Arbeit und ihre AdressatInnen betroffen, wenn z.B. Stellen im öffentlichen Dienst, oder soziale Angebote in den ländlichen Regionen eingespart werden (müssen), wenn Jugendarbeit nur noch ehrenamtlich oder mit Hilfe privater Spender weiterlaufen kann, wenn sich große Träger aus Kostengründen in die Ballungszentren zurückziehen. SozialpädagogInnen arbeiten also im Spannungsfeld dieser (globalen und lokalen) Entwicklungen. Sie müssen sich positionieren, müssen sich fragen, wie sie in ihren Arbeitsfeldern ganz konkret handeln können, wie sie unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen Teilhabe für ihre AdressantInnen ermöglichen oder wie sie in der Praxis mit dem Thema „Mäzenatentum“ umgehen. Soziale Arbeit als ein gesellschaftliches Projekt für soziale Gerechtigkeit ist ein Gewinn für eine demokratische Gesellschaft. Sie sollte sich vor den gegenwärtigen Prozessen und Problemlagen nicht verschließen. Um selbst gestalten zu können, braucht sie zum Einen das Wissen über regionale und lokale Strukturen, Ursachen und Zusammenhänge aktueller Entwicklungen. Zum Anderen braucht es Mut und die Entschlossenheit dorthin zu gehen wo Entscheidungen getroffen werden. Soziale Arbeit sollte auf Augenhöhe mit PolitikerInnen u.a. Entscheidungsträgern gestaltend an der Frage "Wie wollen wir leben?" mitwirken.
SozialarbeiterInnen als ExpertInnen des Alltags, als VermittlerInnen zwischen der Lebenswelt der verschiedenen Einwohner und der Institutionen, als ModeratorInnen und MediatorInnen werden gebraucht, um 1. an der Herstellung einer gemeinsamen Basis und 2. einer gerechten Lösung der derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen durch alle BürgerInnen mitzuwirken. Resignation nach dem Prinzip TINA (There Is No Alternative) ist dabei völlig fehl am Platz. Soziale Arbeit hat genau die Kompetenzen, welche in einer pluralen und modernen Gesellschaft für ein gelingendes Gemeinwesen gebraucht werden.

Fragend schreiten wir voran – unsere Praktiken und Methoden

Beispielhaft wurden unsere Fragen anhand der sehr voneinander verschiedenen Projekte für ländliche Regionen „Duderstadt 2020“, „Lebendige Dörfer“ und „LEADER“ erläutert.
Am Donnerstagabend wurde informiert und diskutiert, wem der landwirtschaftliche Raum gehört bzw. wer über Rohstoffe und Lebensmittel bestimmt. Dazu wurde der sehr empfehlenswerte Film "Die Jagd nach Land: Das globale Geschäft mit fruchtbarem Boden" gezeigt: mehr
Neben der Möglichkeit Informationen zu sammeln und der kritischen Beleuchtung der Projekte für den ländlichen Raum, haben wir die sozialen und kulturellen Angebote in Duderstadt erforscht. mehr
So gab es am Freitag die Möglichkeit das Tabaluga Haus - ein Schutzraum für Kinder in Duderstadt zu besichtigen, den die Peter Maffay Stiftung geschaffene hat.
Ab Freitag Mittag teilten sich die Studierenden in fünf Gruppen auf. Es gab für eine Gruppe die Gelegenheit sich über das Schützenmuseum in Duderstadt zu informieren. Dabei ging es um die Verbindung von Tradition und moderner Architektur und um die Symbolik die dieses Museum ausstrahlt.
Ein andere Gruppe fragte Jugendarbeiter aus Duderstadt und Umgebung nach den Gestaltungsspielräumen für Kinder- und Jugendliche und den Konzepten für Jugendarbeit in Duderstadt. mehr
Die Fragen wie Kunst eine Stadt verändern kann, und warum sich Künstler in ihrer Stadt engagieren beantwortete uns der Maler Ulrich Hollman
Um die Möglichkeit des Landes als spiritueller Rückzugsort und die heutige Funktion eines Klosters ging es im Gespräch mit Sabine Mitschke. mehr
Im Anschluss wurden die Ergebnisse der Gespräche zusammengeführt und reflektiert. Es ging um die Wahrnehmung der Stadt und ihrer Akteure durch uns. Einen großen Anteil an der Diskussion hatte dabei wiederum das Thema: Welche Beziehung hat Soziale Arbeit zur Macht?
Nach einem ausgiebigen gemeinsamen Abendbrot im Jugendgästehaus ging es am Freitag ins Gasthaus "Zum Löwen" im Zentrum der Stadt. Hier konnten wir in der sehr gemütlichen Lobby nachfühlen wie es ist, Macht zu haben und gemeinsam Pläne zu schmieden.
Am nächsten Morgen folgte eine Gruppenarbeit zur Thematik Gemeinwesenarbeit, Community Organizing und Empowerment in Duderstadt. Es ging um Ideen und Utopien für Projekte. Auffällig war, dass von fünf Gruppen drei ganz unabhängig voneinander das Thema "Duderstadt soll attraktiver werden für junge Leute, Familien und AkademikerInnen" bearbeiteten wurde. Ideen waren z.B. einen Stammtisch für Neuzuwanderer zu schaffen, ein Poetry Slam Festival zu organisieren, Theater und Kinoabende zu veranstalten oder gleich ein ganzes Soziokulturelles Zentrum aufzubauen.
Nach dem Zusammentragen der Ergebnisse und dem Abschlussplenum war es Samstag Nachmittag dann schon wieder Zeit Abschied zu nehmen. Aber für 2013 ist ein zweiter Teil des Seminars geplant, diesmal vielleicht im sächsichen Roßwein.

Wissen ist Macht

Soziale Arbeit in ländlichen Regionen ist ein spannendes, vielschichtiges und sehr kompexes Themengebiet. Dazu kommt, dass jedes noch so kleine Dorf und jede kleine Stadt einzigartig bzw. ein Mikrokosmos ist. Doch kommen wir nicht umhin Gemeinsamkeiten und Differenzen zu erforschen.
Will Soziale Arbeit als Teil der Gemeinde etwas für deren Entwicklung tun, und die Interessen ihrer AdressatInnen zur Sprache bringen, braucht es zum einen Wissen über regionale und lokale Spezifika, zum Anderen Verbündete, gemeinsame Überlegungen und langfristige Strategien, aber auch viel Enthusiasmus, Mut zur Veränderung und den beharrlichen Willen sich in der jeweiligen Region zu vernetzen und einzubringen. Sozialräumliches Denken und die Praxis des Community Organizing können dabei äußerst hilfreich sein.
Alexander Voigt 
PS: Hier noch ein Literaturtipp: Stefanie Debiel u.a.(Hg.): Soziale Arbeit in Ländlichen Räumen. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012