Bildungsarbeit 2013

Bildungsarbeit für Demokratie und Toleranz

Projektergebnisse auf dem bundesweiten Aktionstag
Wir für Demokratie – Tag und Nacht für Toleranz“ unter diesem Motto initiierte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 16. April 2013 einen bundesweiten Aktionstag, um ein deutliches Zeichen für Toleranz und gesellschaftliche Vielfalt zu setzen. Im Landkreis Mittelsachsen beteiligten sich unter anderen Akteure aus den Städten Roßwein und Döbeln mit mehreren Aktionen an diesem Tag. Über den Verkauf von „Toleranzbrötchen“ und bedruckten Beuteln wurde versucht, eine breite Öffentlichkeit für dieses Anliegen zu sensibilisieren. Außerdem fanden in beiden Städten historische Stadtrundgänge zur Geschichte des Nationalsozialismus und zum Gedenken an die Opfer dieser Zeit statt. Mit von der Partie: Das Projekt Bildungsarbeit der Fakultät Soziale Arbeit.

Zwangsarbeit in Roßwein
Etwa 15 interessierte Roßweiner BürgerInnen entschieden sich am „Tag für Demokratie“, gemeinsam mit Prof. Matthias Pfüller von der Hochschule Mittweida und Herrn Thiele vom Heimatverein auf Spurensuche zum Thema „Roßwein im Nationalsozialismus“ zu gehen. Der Marktplatz vor dem Rathaus bildete für diesen Stadtrundgang den Startpunkt. An dieser Stelle informierten Herr Thiele und Matthias Pfüller über die Struktur Roßweins in der Zeit von 1933 bis 1945 - vom Aufstieg der NSDAP über die schrittweise stattfindende Radikalisierung des Alltags bis hin zum Beginn der Rüstungsproduktion und dem Einsatz von Zwangsarbeitskräften. Der Rundgang führte an den verschiedenen Orten der Zwangsarbeit vorbei; einbezogen wurden verschiedene Betriebe, in denen ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene arbeiten mussten, ebenso die Orte, an denen sie untergebracht waren. Prof. Pfüller berichtete außerdem davon, dass in den ehemaligen EBRO-Werken KZ-Häftlinge zur Arbeit gezwungen wurden. Diese Häftlinge kamen tagtäglich in einem 3-Schichtenprinzip mit einem jeweils an einen Zug angehängten Waggon aus Nossen (Außenlager des KZ Flossenbürg). Die Ebro-Werke waren deshalb als einziger Betrieb mit einem Stacheldrahtzaun speziell gesichert.
Im Verlauf des Rundgangs wurde deutlich, wie dicht das Netz der historischen Punkte ist, an denen sich die NS-Diktatur zeigte. Ebenso deutlich wurde, dass in der DDR-Zeit diese Punkte wenig Beachtung fanden, so dass die Vergangenheit stellenweise fast als „versunken“ gelten kann – eine Chance für Neonazis, die Vergangenheit zu beschönigen oder zu leugnen. Der Rundgang zeigte demgegenüber, dass es sehr wohl möglich ist, mit der Rekonstruktion der Geschichte an ihren konkreten Orten dagegen anzugehen.

Nationalsozialismus in Döbeln
Döbeln: Zeitgleich mit dem Rundgang in Roßwein startete ein historischer Stadtrundgang in Döbeln. Die "AG Geschichte" des Treibhaus e.V. empfing in den Räumen des Café Courage interessierte Döbelner BürgerInnen, die gemeinsam mit dem Treibhaus e.V. an diesem Tag ein Zeichen für Demokratie und Toleranz setzen wollten. Nach einem kurzen Überblick über das Leben in Döbeln zur NS-Zeit und die damalige städtische Struktur begab sich die Gruppe auf historische Spurensuche; die Route führte etwa 5 km durch die Stadt. Den TeilnehmerInnen wurden die drei großen Betriebe Döbelns gezeigt, die während des Nationalsozialismus auf Rüstungsproduktion umstellten und jeweils 300 bis 550 ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene beschäftigten. Außerdem führte die Strecke an verschiedenen Unterbringungsorten vorbei - heute noch stehen Originalbaracken in mitten in der Stadt. Auch das Stadtbad war Teil des Rundgangs. Dieses wurde während der NS-Zeit erbaut und anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin 1936 eröffnet. Noch heute sind in den Hallen des Bades die Propaganda und der Körperkult der Nationalsozialisten deutlich sichtbar. Der Bau des Stadtbades wurde durch Spenden der Döbelner Bevölkerung finanziert. Auch die jüdischen BewohnerInnen beteiligten sich daran, jedoch wurde ihnen nie der Eintritt gewährt: Bis in die 50er Jahre war in den Umkleidekabinen das Schild „Für Juden und Aussätzige verboten“ sichtbar.
Im Anschluss wurden die beiden Döbelner Märkte überquert; sie bildeten in der Nazizeit wichtige Schauplätze für Propagandaveranstaltungen und dienten der Verbreitung der NS-Ideologie. Gegen Ende des Stadtrundganges wurde mit den Teilnehmenden ein kurzes Teilstück eines Todesmarsches, der quer durch Döbeln verlief, abgelaufen. Währenddessen wurde über diesen Todesmarsch berichtet und Zeitzeugenaussagen von Überlebenden dieses Marsches wurden vorgelesen. Den Abschluss des Rundganges bildete der Wettinpark in Döbeln. Dort wurde über das Kriegsende und über die Kriegsfolgen in Döbeln berichtet.

Geschichtsarbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Im Vorfeld der Stadtrundgänge kam es in Roßwein durch Matthias Pfüller und Annabell Seidlitz mit großer Unterstützung durch Herrn Thiele und Ines Lammay von der Stadtverwaltung und in Döbeln durch Stephan Conrad und Sophie Spitzner zu einer möglichst genauen Rekonstruktion der Zeit von 1933 bis 1945. Begonnen wurden diese Arbeiten mit ausführlichen Archivrecherchen im Stadtarchiv und im Staatsarchiv in Leipzig. Aus vielen Dokumenten und Zeitungsartikeln sowie Zeitzeugenberichten wurden historische Stadtrundgänge konzipiert. Durch die Begehungen der historischen Orte in Döbeln und Roßwein sowie durch die Präsentation historischen Materials (Akten, Fotos, Zeitungen, Dokumente etc.) soll die Nähe zur Geschichte verdichtet werden. Dabei geht es nicht um Denunziation oder Beschuldigung, sondern um die Herausarbeitung des damals massiven Alltagsrassismus und chauvinistischen Nationalismus und deren Auswirkungen. Zumindest Spuren sind auch bis in die Gegenwart noch zu finden, wie z. B. in der Einstellung zu Polinnen/Polen und Russinnen/Russen. Die Ausgrenzung von Menschen lässt sich am Beispiel des Verhaltens gegenüber Jüdinnen und Juden oder ZwangsarbeiterInnen als historische Folie zeigen, vor der sich heute gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit wieder entwickelt. Um dem entgegenzuwirken, beteiligten sich die genannten Akteure der beiden Städte an dem bundesweiten „Tag für Demokratie“ und setzten so ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Sophie Spitzner