„Seid froh, dass ihr heute lebt!“

Mittweidaer Hochschüler nach Sibirien verschleppt

Dr. Martin Hoffmann, vor über 65 Jahren Student an der Hochschule Mittweida, war am 1. Juni 2016 zu Gast an der Fakultät Soziale Arbeit. Im Seminar „Zeitdiagnosen“ von Prof. Dr. Christoph Meyer erzählte der 86jährige von seinem Schicksal als ehemaliger Häftling des stalinistischen „Archipel Gulag“.

Der damals noch 20jährige Martin Hoffmann wurde am 24. Januar 1951 auf dem Platz vor dem Hauptgebäude von zwei Stasimitarbeitern in ein Auto gelockt, verhaftet und ins oberste Stockwerk des Rathauses von Mittweida gebracht. Dort verhörte ihn ein Offizier der sowjetischen Militärverwaltung. Die Verhörenden erpressten von ihm Geständnisse und ein Gericht verurteilte ihn dann wegen seines Eintretens für die Freiheit zu 3mal 25 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien.
„Bei dem Vorgehen gegen Dr. Hoffmann handelt es sich um ein Staatsverbrechen, an welchem die damalige Hochschule beteiligt war. Das bietet Anlass genug, sich damit auseinanderzusetzen“, so Professor Meyer in seinen einleitenden Worten zu der Veranstaltung, an der nicht nur zahlreiche interessierte Studierende, sondern auch der Rektor der Hochschule Mittweida und die Dekanin der Fakultät Soziale Arbeit teilnahmen. Es begann mit einem 20minütigen Dokumentarfilm, an dem Martin Hoffmann selbst beteiligt gewesen ist; anschließend kam es zu zahlreichen Nachfragen der Studentinnen und Studenten.

Die Spannung im Hörsaal 39-001 ließ zu keinem Zeitpunkt nach. Geduldig und präzise beantwortete Hoffmann alle Fragen, die die Studierenden stellten. Dabei zeigte er keine Spuren von Verbitterung, aber doch große Klarheit angesichts eines Schicksals, das alle im Saal tief beeindruckte. Beziehungen gingen zu Bruch, eine Kontaktmöglichkeit zu seiner Familie gab es nicht. „So etwas mitgemacht zu haben, das ist wie eine Tätowierung, das trägt man sein ganzes Leben mit“, so Hoffmann über das Leid, das ihm und seinen zahlreichen Mitgefangenen zugefügt wurde. Bei Eiseskälte mussten die Häftlinge sechs Tage die Woche schuften, Freizeit gab es so gut wie gar keine, Feiertage fielen aus: „Wecken, Aufstehen, Suppe, Schuften, Suppe, Schlafen“, so der eintönige Tagesablauf. Bis 1955 dauerte das Leiden des Martin Hoffmann. Zu diesem Zeitpunkt wurde er zusammen mit seinen Mitgefangenen amnestiert. Die damalige Ingenieurschule Mittweida hat ihn dann nicht wieder aufgenommen. So ging er in den Westen und absolvierte sein Studium in Karlsruhe. Erst 1996 wurde Hoffmann durch die russische Generalstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Unterwegs in Sachen Workuta ist er bis heute. Nach wie vor treffen sich die Ehemaligen einmal pro Jahr – und in Karlsruhe unterhält Martin Hoffmann ein „Gulag-KZ-Zeitzeugen-Museum“.

Der Vortrag und die Zeitzeugenschaft von Dr. Martin Hoffmann, beides war ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen, für ein demokratisches Geschichtsbewusstsein. Ein Fazit des gebürtigen Sachsen, an seine Mitstudierenden über die Generationen hinweg gerichtet, lautete:
„Seid froh, dass ihr in der heutigen Zeit lebt!“
Prof. Dr. Christoph Meyer