Dr. phil. Nora Kirk

Exmatrikulationsfeier der Fakultät Soziale Arbeit am 17.Mai 2017

Laudatio von Prof. Dr. rer. soc. Heide Funk (Auszug)

Mit ihrer Untersuchung hat Nora Kirk eine für sie schon in der Zeit als Pflegerin intensiv erlebte und über viele eigene Lebensstationen bleibende Erfahrung behandelt und in eine wissenschaftliche Problemstellung übersetzt: Gibt es im körperlichen Gedächtnis - auch von gealterten und jetzt hilfebedürftigen Personen - Botschaften, die an Berufserfahrungen anschließen und lassen sich daraus Zugänge zu ihrem Umgang mit Einschränkungen und Alltagsanforderungen gewinnen?

Daraus entwickelte sich die Frage, ob vorgängige, aus dem vergangenen Berufsleben stammende Erfahrungen auch nach dem Übergang in den sogenannten „Ruhestand“ im „Körpergedächtnis“ aufgehoben sind. Dabei sollte sich die Aufmerksamkeit auch und gerade auf die sich im Alter einstellenden körperlichen Grenz- und Verlusterfahrungen richten. Sie wählte für die bildgestützten Interviews als festen Ort ein Pflegeheim, wo die Frage nach der Lesbarkeit eines aus der Berufsbiografie weiterbestehenden „körperlichen Wissens“ sich zuspitzt auf Situationen, wo die vertraute Welt nicht mehr weiter vorhanden ist.

Der Zusammenhang von Selbsterleben und Körper, wie er auch über biografische oder auch historische Brüche hinweg bestehen bleibt, wird in der Untersuchung theoretisch mit dem Konzept des Habitus von Bourdieu aufgeschlossen. Im Vergleich der ausgewählten, thematisch zentrierten narrativen Interviews lässt sich nachvollziehen, was die Interviewten über ihr Berufsleben – beginnend bei den Momenten ihres Berufseinstiegs – bis heute für bedeutsam halten. Es werden darin die durchgängigen Bewertungsmaßstäbe deutlich, die die Interviewten dabei an sich und an ihre (körperlichen) Verlusterfahrungen herantragen. Daraus lassen sich bleibende Muster im Umgang mit körperlichen Erfahrungen und auch mit Alltagsroutinen im Heim erkennen, die sonst unter den „äußerlichen“ Anpassungsleistungen an den Heimalltag verborgen bleiben.

Die Bildinterpretationen stammen aus Videoaufnahmen im eigenen Zimmer der BewohnerInnen. Mit mehreren methodischen Schritten wird es möglich, „Botschaften“ zu entschlüsseln, die sich in der Haltung und der Stellung der Befragten zur Videokamera als (körperliche) Spannung zwischen vergangenem Leben und dem Dasein im Pflegeheim manifestieren. Die innere Spannung und Sitzhaltung im Verhältnis zu Dingen der Umgebung und in der Hinwendung zur Interviewsituation kann an die im Interview aufscheinenden (beruflich) eingeübten Haltungen und die im jetzigen Lebenszusammenhang wirksamen inneren Wert-Orientierungen anknüpfen.

Die vielen Schritte bis zur Entwicklung der Untersuchung und der Abschluss der Promotion sind ein Beispiel für das besondere, aus der Praxis stammende Erkenntnisinteresse und die freie, beharrliche Suche nach der Umsetzung in ein eigenes Untersuchungsdesign. Es ist zu wünschen, dass sich in Zukunft einmal auch ein kooperativer Weg zur kreativen Umsetzung der Ergebnisse finden lassen wird.