Dr. phil. Thomas Markert

Würdigung der erfolgreichen Promotion

 

während der Exmatrikulationsfeier am 02.11.2007 im Rathaussaal der Stadt Roßwein mehr

Ausgrenzung in Schulklassen

- Eine qualitative Fallstudie zur Schüler- und Lehrerperspektive -

Bearbeiter:
Dipl.-Soz.arb./Soz.päd. (FH) Thomas Markert Doktorand an der Fakultät Erziehungswissenschaften der TU Dresden
Wissenschaftliche Betreuung:

Prof. Dr. Heide Funk (Hochschule Mittweida (FH) – University of Applied Sciences)
Prof. Dr. Wolfgang Melzer (TU Dresden)
Bearbeitungszeitraum: Nov. 2002 bis Dez. 2006 Stipendium Juli 2003 bis Dez. 2006 Hans-Böckler-Stiftung 

Problemdarstellung

Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden Praxiserfahrungen aus dem Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit. Deren Beratungsangebot wird von Kindern bzw. Jugendlichen genutzt, die von ihren Mitschüler/inne/n abgelehnt, schikaniert, letztendlich ausgeschlossen werden. Sie suchen nach Hilfe, um die Ausgrenzung bewältigen und aufheben zu können. Auftrag der Sozialpädagog/inn/en ist dann, einer psychosozialen Beeinträchtigung zu begegnen, die zugleich den Schulbesuch negativ beeinflusst und so auch auf dieser Ebene biografisch äußerst folgenreich sein kann. Daneben sind die ausgrenzenden Schüler/innen Adressat/inn/en der Angebote der Schulsozialarbeit, da ihr diskriminierendes, oft gewaltsames Verhalten auf den ersten Blick auf unzureichende soziale Kompetenzen verweist. Diese fallbezogene Problemsicht wird allerdings von empirischen Erkenntnissen der Schulforschung gerahmt, laut derer Ausgrenzung in Schulklassen ein ‚alltägliches’ Problem innerhalb der Schule zu sein scheint. Sie ist so weniger ein Einzelfall, sondern Ausgrenzung erweist sich als allgegenwärtiges Phänomen im Handlungsraum Schule.

Untersuchungsziel

Für ein erfolgreiches pädagogisches Handeln ist es notwendig zu klären, was die Ausgrenzenden eigentlich dazu motiviert, andere auszuschließen. Zentrale Forschungsfrage ist, wie die Ausgrenzungsprozesse von den Beteiligten gedeutet und welche sozialen Wirkungen sichtbar werden. Dem geht diese Arbeit als explorative Studie nach.

Theoretische Einordnung

Ausgrenzung wird dabei nicht im Kontext extern herangetragener Bedeutungen wie bspw. hinsichtlich ihrer problematischen Auswirkungen auf die schulischen Abläufe untersucht. Stattdessen wird aus einem sozialpädagogischen Forschungsinteresse heraus die Akteurssicht rekonstruiert. Ausgrenzung wird daher auch nicht als ein Problem der Gewalt untersucht und so ein von der Mobbingforschung abweichender Weg gewählt. Der interaktionelle Kontext und somit die Prozesse, in deren Verlauf auch die ausgrenzende Gewalt entsteht und angewendet wird, stehen im Mittelpunkt des Interesses. Mit dieser Perspektive verbunden ist, dass einerseits alle Jungen und Mädchen einer Klasse als Beteiligte verstanden werden. Unabhängig davon, ob sie die Ausgrenzung aktiv unterstützen oder diese ignorieren, positionieren sie sich zu den Handlungen, beeinflussen diese so und gestalten sie als Akteurinnen und Akteure mit. Andererseits verhalten sich auch die Lehrkräfte zur Ausgrenzung und wirken so ebenso mit. Schüler/innen und Lehrer/innen sind an der Konstruktion von Ausgrenzung beteiligt.

Methoden / Untersuchungsfeld

In der durchgeführten qualitativen Fallstudie wurden dementsprechend nicht nur die Jugendlichen einer achten Realschulklasse, sondern auch deren Lehrer/innen interviewt. Zur Befragung der Schüler/innen wurde eine im Projekt neu entwickelte Variante des problem­zentrierten Interviews – das ‚narrative Soziogramm’ – eingesetzt. Dabei erstellten die Interviewten auf einem Pappkreis mit Hilfe von Klebeetiketten, die die Namen ihrer Mitschüler/innen trugen, ein Soziogramm ihrer Klasse. Diese Grafik bildete dann den Leitfaden des Interviews, anhand dessen die Befragten ihre individuelle Perspektive auf die Beziehungen und Geschehnisse in der Klasse erläuterten. Neben den Interviews wurde außerdem eine Gruppendiskussion mit den Jugendlichen durchgeführt. Anschließend wurden die Daten sieben ausgewählter Schülerinterviews, vier Lehrerinterviews und der Gruppendiskussion per dokumentarischer Methode (Bohnsack) ausführlich ausgewertet.

Ertrag / Absicht

Die erarbeiteten Einzelfallbeschreibungen und die Diskursbeschreibung ermöglichen eine mehrperspektivische Betrachtung der Ausgrenzungen aus dem Blickwinkel von Schüler/inne/n und Lehrkräften. Diese Interpretationen bilden ein wichtiges Zwischenergebnis der Forschung. Die weitere Analyse ergab, dass die Schüler/innen die ausgrenzenden Hand­lungen als Ritual nutzen, über das sie ihre eigene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der akzeptierten Jugendlichen in der Klasse herstellen und fortwährend erneuern. Über die Ausgren­zungen gestalten sie zudem ‚ihre Klasse’ und handeln aus, was in dieser anerkannt ist. Ausgegrenzte bilden dabei die Projektionsfläche für abgelehnte Orientierungspunkte und sind in dieser wichtigen Funktion als ‚anerkannte Missachtete’ in das Ritual integriert. Markant für die Lehrkräfte ist, dass sie die Ausgrenzung vorrangig als eine Störung des Unterrichts verstehen: Die konflikthaften Ausgrenzungspraxen der Jugendlichen behindern die Umsetzung des fachlichen Lehrauftrages. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich das Handeln der Lehrer/innen auf die Ausge­grenzten. An sie sind aus Sicht der Lehrkräfte die Unterrichtsstörungen gebunden. Entsprechend dieser Ursachenzuschreibung zielen die Interventionen der Lehrkräfte darauf ab, Ausgegrenzte ruhig zu stellen, sie zur Anpassung an die Klasse zu bewegen bzw. sie aus der Klasse zu entfernen. Das ausschließende Handeln der Jugendlichen und die psychosoziale Belastung der Ausgegrenzten werden im Zuge dessen ausgeblendet. Die Handlungen von Lehrer/inne/n und Schüler/inne/n folgen differenten Orientierungen und sind aber zugleich miteinander verwoben. Ergebnis der Fallstudie ist eine neue Perspektive auf das Phänomen der Ausgrenzung. Indem sie für Schüler/innen ein gemeinschafts­bildendes Ritual bedeutet, ist Ausgrenzung nicht mehr nur die Diskriminierung und Benachteiligung Einzelner und ein Hinweis auf unzureichende soziale Kompetenzen. Neu hinzu kommt, das Ausgrenzung auf das Problem ungeklärter bzw. unsicherer Zugehörigkeit verweist. Schule und Schulsozialarbeit müssen eine Antwort darauf geben, wie die Jugendlichen ihre Gemeinschaftsbildung und Anerkennung innerhalb der Klasse abseits der Ausgrenzung aushandeln können. Zudem zeigt die Studie nachdrücklich, dass der Ausgrenzung nur dann wirkungsvoll begegnet werden kann, wenn Schüler/innen und Lehrkräfte als Adressat/inn/en von Intervention und Veränderung verstanden werden.

Veröffentlichungen

Markert, Thomas (2007): Ausgrenzung in Schulklassen. Eine qualitative Fallstudie zur Schüler- und Lehrerperspektive. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Markert,
Thomas (2007): „Oh, du bist nicht in unserer Klasse, du gehörst hier nicht her!“ – Eine Fallanalyse zu den sozialen Auswirkungen des sächsischen DaZ-Konzeptes. In: Kokebe Haile Gabriel/Malte Meyer/Bartholomäus Figatowski (Hrsg.): The Making of Migration. Repräsentationen/Erfahrungen/Analysen. Münster: Dampfboot.
Markert, Thomas (2007): Zur Praxis verbaler Gewalt unter Schülerinnen und Schülern. In: Steffen Kitty Herrmann/Sybille Krämer/Hannes Kuch (Hrsg.): Verletzende Worte. Bielefeld: Transcript.
Markert, Thomas (2002): Agententraining. Soziales Lernen in der Schule – eine „abenteuerliche” Projektidee. gruppe & spiel. Zeitschrift für kreative Gruppenarbeit, Jg. 28, H. 3. Seelze-Velber: Kallmeyer.